Marina Sawall
Druckzone – Gerötete Augen
„Suspicious landscape“ – Heiner Müller
„… je sachlicher die Verrichtungen in der taghellen Welt vernünftiger Anpassung abgewickelt werden, desto stampfender ertönt im Hintergrund der Klang der Schizomaschinen.“ – Thomas Wagner
Der junge Wiener Maler Stylianos Schicho arbeitet ständig an der Perfektionierung seines Handwerks. Das erlaubt ihm, die Darstellung der Realität einer Transformation zu unterziehen, die zuerst nicht direkt ins Auge fällt. Farb- und Formgebung folgen dem kunstakademischen Regelwerk, das er als Schüler Herzigs an der Universität für angewandte Kunst erlernt hat. Sie erzeugen in wohlüberlegter Komposition den Eindruck einer Totalität. Aber es ist etwas in diesen Bildern, etwas an den Figuren vielleicht, das diese Homogenität nicht anhalten lassen will, sie ins Schwanken bringt.
Geschmeidig, angespannt, den Ernst in den geröteten Augen, stehen oder sitzen seine Figuren dicht zusammengerückt in ihrem bildinternen Umfeld. Halten Pistolen, die nicht schießen können, außer auf Automaten in Spielsalons, schieben Einkaufswagen, ziehen angestrengt an Fitnessgeräten. Sie scheinen vollkommen verhaftet in der Horizontale. Aber etwas ist merkwürdig: Sie strahlen eine seltsame Fremdheit aus. Obwohl sie doch mit typischen Verrichtungen oder dem Ausüben von Freizeitaktivitäten beschäftigt scheinen.
Vielleicht ist es der Eindruck, sie verfolgten nicht, was sie tun. Ihre Augen richten sich auf etwas, das außerhalb des Bildes liegt. Die Gesichter wirken, als seien sie ganz nah an der Bildoberfläche, so, als reckten sich die Figuren aus dem Bild heraus. Vor allem die Augen erinnern in ihrer Größe an das jugendliche Schönheitsideal japanischer Manga-Zeichnungen. Nur sind die Augen, die Schicho entworfen hat, keinesfalls die niedlicher Püppchen, sondern eher Ausdruck davon, dass die dazugehörigen Akteure eine unbestimmbare Last zu tragen haben, irgendwie unter Druck stehen. Die Größe erlaubt eine so genaue Betrachtung, dass man sieht, dass ihre Augen gerötet sind von der ständigen Anstrengung. Ihre mächtigen Pupillen überspielen vielleicht, dass sie dabei ausdruckslos geworden sind.
Wie neutrales Territorium liegen sie eingebettet in die klar konturierten Formen und sanft schimmernden Farben Schichos durchdachter Bildkomposition, die kaum Lücken lässt. Sie erlauben genaue Betrachtung, aber nicht den Einblick in die Gedanken der Figuren. Als wollten sie ihre Gefühle verbergen, sich abgrenzen, schützen vor den Augen dessen, was sie anblicken, dessen Beobachtung sie gleichzeitig anzunehmen scheinen. Dabei vergessen sie, was sie in der Horizontale hält, es rutscht nach hinten, nach unten, ist nicht sichtbar. Was sie nicht direkt berühren, vielleicht nicht vollkommen beherrschen oder kontrollieren können, verliert an Wichtigkeit. Die Figuren rücken zusammen, verdecken den Hintergrund fast vollständig, verlieren ihre Füße. Wie die Großaufnahmen von Kinofilmen, in denen nicht die Handlung zählt, sondern die Gesichtsausdrücke allein von Bedeutung sind. Allerdings ist nicht klar, ob sich die Absicht Schichos mit der Filmabsicht deckt, dass der Zuschauer sich mit den Charakteren identifizieren soll. Alles, worauf sich ein Text wie dieser stützen kann, ist das, was tatsächlich sichtbar ist. Das ist in diesem Fall die auffällige Hierarchie der Bildelemente, durch die sich die Handelnden über ihr behandeltes Umfeld stellen.
Stylianos Schicho hat eine ganz eigene Technik entwickelt, die Figuren näher zu rücken, an die Barriere zwischen Bildwelt und der Welt des Betrachters. Das scheinbare Heranziehen ist eigentlich ein Tauziehen der Blicke. Der Blickstratege Schicho konstruiert hier ein Kräftemessen zwischen dem Betrachter auf der einen Seite, und den Figuren ihm gegenüber. Es scheint, als errege er das Auge, indem er es zu Blickumwegen, Blickanstrengungen zwingt. Er spielt mit den traditionellen Sehgewohnheiten, erlaubt dem Betrachter nicht mehr, sich in seiner klassischen Position vor dem Bild sicher zu fühlen. Aber was genau macht diese Irritation aus, was ist es, das dem Betrachter verweigert, seinen eingespielten Part zu übernehmen?
Es ist die Perspektive. Sie geht nicht vom Betrachter aus, stattdessen zwingt sie ihn, einem Blick zu folgen, der schon vorgegeben ist. Seine Aufgabe, das Geschehen im Bild zu betrachten, ist schon vorweggenommen. Er folgt nur noch den unsichtbaren Augen einer Unbekannten. Diese Variable ist nicht eindeutig zu bestimmen. Durch ihre nachvollziehbare Position in der rechten Ecke am oberen Bildrand erinnert sie an eine Überwachungskamera. Schicho bestätigt diese Vermutung, sagt selbst, dass er die Sucht der Gesellschaft, sich selbst, also ihre Mitglieder, zu überwachen, thematisieren will. Gerade deshalb finden seine Szenarien ihr Setting wohl ausschließlich im öffentlichen Raum – dem wortwörtlichen Schauplatz zwischen Privatssphäre und (unzivilisiertem) Naturerleben, auf dem nichts verborgen bleibt, alle Handlungen vor den Augen der anderen ablaufen. Der Künstler nimmt sich davon nicht aus, auch er ist Teil dieser Gesellschaft, beobachtet und wird beobachtet. Deshalb wohl auch die Figur in seinen Bildern, die ihm auffällig ähnelt. Er fügt sich ein in die Ordnung der sich gegenseitig entlarvenden Entlarvten. Zu denen sich auch der Betrachter rechnen muss.
Durch die Draufsicht der imaginären Kamera auf das gesellschaftliche Leben, fallen aber auch die Brüche mit ihren kollektiven Regeln auf. Ist hier die Antwort auf das Rätselhafte an Schichos Bildern zu suchen? Auf die Fremdheit, die seinen alltäglichen Szenen neben der durch einen unbekannten Blick verschiebenden Perspektive anhaftet.
Vielleicht ist das Merkwürdige an der sich selbstbeobachtenden Gesellschaft der Ausdruck des Verdachts. Jeder wird verdächtigt und verdächtigt alle anderen. Natürlich lassen sich darin auch Parallelen zur aktuellen Terrorismusdebatte sehen, aber das ist nur eine erweiterte Form des gegenseitigen Beaufsichtigens. Es scheint zum Menschen zu gehören, der immer schon durch genaues Beobachten sein Überleben zu sichern suchte. Genauso wie er auf andere angewiesen ist. Die öffentliche Ordnung mit all ihren Verschrobenheiten macht vielleicht einfach nur auf das Bedürfnis des Menschen aufmerksam, nicht allein sein zu wollen, die Isolation durch ein verbindendes Netz zu vermeiden. Um zu verhindern, dass dieses Netz zerfällt, muss es vielleicht auf scheinbar übertriebene Beobachtung gestützt sein. Das äußert sich dann in unaufhörlichen Blickkämpfen, in dem angestrengten Versuch, anerkannt zu werden, und dabei die Selbstbehauptung nicht einzubüßen.
Innere und äußere Extremzustände sind es schließlich, die Schicho darstellen will. Was verbindet sie besser als der Blick, der in seinen Bildern den Raum konstruiert, und damit eine Dynamik gibt. Der Blick, der unsichtbar und doch verbindend allen Mitgliedern einer Gesellschaft zur Verfügung steht? Scheinbar objektiv setzt Schicho ihn ein, um alles aus einer für die Malerei ungewohnten Perspektive zu zeigen. Doch gerade das sachliche Licht, in das er seine Bilder stellt, macht empfänglich für das Aufspüren möglicher Anpassungs- aber auch Ausbruchsversuche. Die Vergrößerung der Gesichter zeigt gerötete Augen, vielleicht Zeugen dieser alle Generationen durchziehenden Anstrengung.